Frank-Walter Steinmeier, der neben Parteichef Sigmar Gabriel und Ex-Finanzminister Peer Steinbrück als möglicher Kanzlerkandidat der SPD gilt, empfing Vertreter des BDS-Präsidiums zu einem ersten Gedankenaustausch in seinem Berliner Büro. Die BDS-Delegation mit Präsident Günther Hieber an der Spitze machte gleich zu Anfang des Gespräches deutlich, dass es auch innerhalb des selbstständigen Mittelstandes durchaus Sympathien für eine Neuauflage der Großen Koalition gäbe. Wenn diese dann durch die SPD geführt werde, präferiere man Frank-Walter Steinmeier an der Spitze, weil dieser nach Ansicht der Verbandsvertreter Sachlichkeit und Ausgewogenheit repräsentiere und für den eine „Wadenbeißer-Politik“ nicht zum politischen Ritual gehöre. Ein wahrlich ernst gemeintes Kompliment, wie Hauptgeschäftsführer Joachim Schäfer unterstrich.
Steinmeier kündigte für den Fall eines Wahlsieges ein Programm für Innovationen an. Mit Steuergutschriften sollen demnach Investitionen in die Forschung stimuliert werden. Soll heißen: Für die Bundestagswahl 2013 will die SPD die Industriepolitik in den Mittelpunkt ihrer Wirtschaftspolitik stellen. Damit grenzt sich der frühere Bundesaußenminister und Vizekanzler klar von den Bündnisgrünen ab, die ihren Fokus auf Ökotechnologien legen. Besonders liegen Steinmeier beschleunigte Planungs- und Genehmigungsverfahren für die Energieinfrastruktur am Herzen. Zudem will er die Bedingungen für Auslandsinvestitionen verbessern, die Zollabwicklung vereinfachen und bessere Finanzierungsmöglichkeiten für Firmengründer schaffen. Wenn die Wirtschaft allerdings Wachstumsimpulse von der Politik erwarte, müssten auch Ressourcen geschaffen werden. Der einfache Rückweg in die Neuverschuldung sei aus guten Gründen verschlossen. Aber Subventionsabbau und Einnahmen aus der Finanzmarkttransaktionssteuer könnten Bewegungsspielräume schaffen, die für Wachstumsimpulse gebraucht würden.
Naturgemäß stand auch das Thema Mindestlohn auf der Gesprächsagenda. Günther Hieber erläuterte Frank-Walter Steinmeier die Haltung des Verbandes, indem er auf das BDS-Grundsatzprogramm verwies, in dem manifestiert ist, dass eine Lohnuntergrenze Sache der Tarifparteien sei und nicht die der Politik. Außerdem müssten sich – so Hieber weiter – bei einer Lohnuntergrenze auch die regionalen Gegebenheiten widerspiegeln. Ein Mindestlohn, der beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern auskömmlich sei, könne in einer Stadt wie München vielfach die notwendigen Kosten für den Lebensunterhalt nicht abdecken. Im Umkehrschluss wäre ein Mindestlohn, der sich an den Münchner Gegebenheiten orientiere, für einen kleinen Betrieb in Mecklenburg-Vorpommern finanziell nicht tragbar, folgerte Hieber und appellierte an die SPD, von einen flächendeckenden und politisch festgelegten Mindestlohn Abstand zu nehmen.
Frank-Walter Steinmeier betonte, er habe nichts dagegen, wenn sich die Tarifpartner in dieser Frage einigen könnten. Allerdings sei er im Laufe der letzten sechs Jahre skeptisch geworden, dass das Thema tarifvertraglich angepackt würde. Und Tatenlosigkeit führe dann eben zu gesetzgeberischen Aktivitäten, machte Steinmeier seine Haltung deutlich. Gleichwohl verkenne er nicht, dass ein flächendeckender Mindestlohn keine Größenordnung erreichen dürfe, die dann gegenteilige Effekte erziele oder gar zum Abbau von Arbeitsplätzen führe. Wenn er aber höre, dass in Thüringen Friseure zu einem Stundenlohn von 3,14 Euro beschäftigt würden, dann sei dies menschenunwürdig und nicht hinnehmbar. Außerdem gab Steinmeier den BDS-Vertretern zu bedenken, dass ein festgesetzter Mindestlohn auch ein Bollwerk gegen Dumpingangebote ausländischer Firmen sei, die auf dem deutschen Markt operierten. Steinmeier wörtlich: „Das müsste doch eigentlich auch in Ihrem Interesse liegen.“ Außerdem zeige das Beispiel Schlecker, dass niedrige Löhne kein Allheilmittel seien, wenn es an einem Managementkonzept und der richtigen Geschäftsidee fehle.
Hans-Peter Murmann und Joachim Schäfer machten unisono den SPD-Fraktionschef darauf aufmerksam, dass nach ihrer Ansicht im Parteiprogramm der SPD der selbstständige Mittelstand mit seinen volkswirtschaftlichen Leistungen kaum gewürdigt werde. Vor allem werde nicht differenziert zwischen dem Managerunternehmer auf der einen und dem Risikounternehmer auf der anderen Seite. Aus Sicht des Verbandes sei es daher nur konsequent, wenn auch der selbstständige Mittelstand künftig bei den Parteistrategen der SPD eine größere Rolle spiele als bisher, empfahl Joachim Schäfer dem sozialdemokratischen Frontmann. „Ein richtiger Rat, den ich meiner Partei auch gebe“, signalisierte Steinmeier volle Zustimmung. Er persönlich pflege seit Beginn seiner politischen Laufbahn enge Kontakte zu mittelständischen Unternehmen. Allerdings stimmte er Schäfers Kritikansatz in dem Punkt zu, dass die enge Zusammenarbeit von SPD und Gewerkschaften dazu führe, dass oft das das Engagement der SPD für den Mittelstand nicht so im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses liege. In diesem Zusammenhang forderte Steinmeier die BDS-Vertreter auf, den Schulterschluss mit dem wirtschaftspolitischen Sprecher der Partei, Garrelt Duin, und der SPD-Arbeitsgemeinschaft Selbstständige (AGS) zu suchen, um den BDS-Anliegen Gehör zu verschaffen. Ein Vorschlag, der von Günther Hieber, Hans-Peter Murmann und Joachim Schäfer mit großer Zustimmung aufgegriffen wurde.
Auf die Steuerpläne der SPD im Falle eines Wahlsieges 2013 angesprochen, sagte Steinmeier, es dürfe weder bei der Vermögensteuer noch bei der Erbschaftsteuer zu einer Substanzbesteuerung kommen. Allerdings seien aus seiner Sicht Korrekturen beim Spitzensteuersatz notwendig. Er gehöre zwar nicht zu denjenigen, für die das sozial gerechteste Land das Land sei, was den höchsten Steuersatz habe, aber Spitzenverdienern sei ein Einkommensteuersatz von 49 Prozent durchaus zuzumuten, erläuterte Steinmeier seine Philosophie mit Blick auf die exorbitant gestiegene Staatsverschuldung der Bundesrepublik Deutschland. Dem setzte Günther Hieber entgegen, dass man zunächst einmal den Begriff des Spitzenverdieners und dessen Einkommenshöhe definieren müsse. Es könne doch auch im Interesse der SPD nicht angehen, dass bereits ein Facharbeiter in diese Kategorie falle – von einem selbstständigen Handwerksmeister einmal ganz zu schweigen. Hier müsse es zu einer wirklich tragfähigen und akzeptablen Lösung kommen, so Hieber abschließend.
A.S.
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