Es ist das erklärte Ziel von Sigmar Gabriel, als Bundeswirtschaftsminister der Mittelstandspolitik einen hohen Stellenwert einzuräumen. Aber auch als SPD-Chef will er seine Partei für Unternehmer und Unternehmen attraktiv machen. Sein Credo: „Die SPD darf sich nicht damit zufriedengeben, nur für die soziale Seite der Gesellschaft zuständig zu sein.“ Gegenüber den BDS-Vertretern Günther Hieber, Hans-Peter Murmann und Joachim Schäfer machte Sigmar Gabriel bei deren Antrittsbesuch sofort zu Beginn des Gedankenaustausches deutlich, wie wichtig für ihn ein konstruktives Verhältnis zum Mittelstand und zu den Familienunternehmen ist: Es sei sein Bestreben, noch in dieser Legislaturperiode den sogenannten Mittelstandsbauch zu begradigen, betonte Gabriel mit Blick auf den Sachvortrag der Verbandsvertreter. Diese hatten argumentiert, dass nach einschlägigen Berechnungen der Fiskus im Jahr 2014 rund 54 Milliarden Euro mehr bei der Lohn- und Einkommensteuer einnehme, als noch im Jahr 2010. Dies entspreche einem Plus von 34 Prozent, wobei sich Löhne und Gehälter im selben Zeitraum nur um 16,4 Prozent erhöht hätten. Somit seien die Steuern auf das Einkommen in den vergangenen vier Jahren mehr als doppelt so schnell gestiegen, wie die Einkommen selbst. Diese Entwicklung beträfe nicht nur die Besserverdiener, sondern zum großen Teil auch Arbeitnehmer, hob BDS-Präsident Günther Hieber hervor und unterstrich gleichzeitig, dass Deutschland im internationalen Abgaben-Ranking nunmehr hinter Belgien und Ungarn auf Platz drei liege. Deshalb sei es zwingend notwendig, die sogenannte „kalte Progression“ abzumildern und den „Mittelstandsbauch“ zu begradigen. In seiner Entgegnung auf Hiebers Statement warnte Sigmar Gabriel dennoch vor übertriebenen Hoffnungen. Gleichwohl mache es Sinn, mit dem Abbau der kalten Progression noch in dieser Legislaturperiode zu beginnen und bei den unteren Einkommen anzufangen. Gabriel machte deutlich, dass Tariferhöhungen zuallererst in den Taschen der Arbeitnehmer und nicht in der Tasche des Finanzministers landen müssen. Zudem ergebe sich eine andere politische Debattenlage, weil auch die Gewerkschaften sich inzwischen dieses Problembereichs angenommen hätten.
Die BDS-Vertreter baten Sigmar Gabriel um Auskunft, inwieweit damit zu rechnen sei, dass der Solidaritätszuschlag – wie festgeschrieben – Ende des Jahres 2019 auslaufen werde. Der SPD-Bundesvorsitzende verwies darauf, dass auch über 2019 hinaus viele Regionen in Ostdeutschland noch Hilfe und Förderung brauchen werden. Es sei eine Frage der Gerechtigkeit, dass gleiche Förderung auch gleiche Rechte und Chancen bedeute. Es könne nicht sein, dass der Solidarpakt auslaufe, aber die Benachteiligungen im Osten weitergingen.
Ein wichtiger Punkt, nicht nur im Osten, sondern auch in den alten Bundesländern, seien künftig Infrastrukturmaßnahmen. Und keinesfalls seien die erforderlichen Investitionen dafür allein aus Steuermitteln zu stemmen. Deshalb müssten viele notwendige Projekte und Sanierungsmaßnahmen durch privates Kapital finanziert werden, damit der wirtschaftliche Erfolg Deutschlands nicht in Gefahr gerate, so Gabriels Folgerung. Deshalb müsse dringend über neue Modelle beraten werden, wie privates Kapital mobilisiert werden könne, um die öffentliche Infrastruktur zu verbessern. Dabei sei es für ihn gut vorstellbar – so Gabriel weiter – dass Lebensversicherungskonzernen attraktive Angebote gemacht würden, damit diese sich an der Finanzierung gesamtstaatlicher Aufgaben beteiligten. Gerade die Lebensversicherungskonzerne suchten angesichts des niedrigen Zinsniveaus nach neuen Anlagemöglichkeiten, konkretisierte Gabriel seine Überlegungen. Mitteleuropa anhalten.
Ein weiterer Gesprächspunkt waren an die Öffentlichkeit gekommene Pläne aus dem Kreis der Europäischen Kommission, die Exporte deutscher Unternehmen zu erschweren, weil diese angeblich für die wirtschaftliche Schieflage innerhalb der EU mit verantwortlich seien. Für Sigmar Gabriel sind diese angeblichen Verlautbarungen kein Grund zur Beunruhigung. „Das sind Forderungen von Minderheiten, die nicht die Richtschnur für deutsche Wirtschaftspolitik sein können – uns geht es um Wachstum und Sicherung von Wettbewerbsstärke für unsere Unternehmen.“ Außerdem kämen bei den exportierten Gütern rund 43 Prozent der Zuliefererteile wiederum aus dem EU-Ausland. Damit würden auch viele Zulieferer im europäischen Ausland von starken deutschen Exporten profitieren.
Angesprochen auf die Rückverlegung des Abgabetermins bei den Sozialversicherungen verwies Minister Gabriel auf das Gesetz zum Abbau bürokratischer Hemmnisse in der mittelständischen Wirtschaft aus dem Jahr 2006. Danach ist bei der Abführung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages ein besonderes Berechnungsverfahren zugelassen. So kann unter bestimmten Voraussetzungen die voraussichtliche Höhe der Beitragsschuld nach den Beiträgen des Vormonats bemessen werden. Eine doppelte Monatsabrechnung sei daher nicht notwendig.
A.S.
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