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Wolfgang Clement empfing in seinem Bonner Büro die ­Kuratoriumsmitglieder Friedhelm Ost und Dr. Jürgen Aretz

Energiewende – Ein Albtraum für die Wirtschaft

Ex-Superminister Wolfgang Clement fordert Europäische Energieunion

Das mutigste Reformprojekt der letzten Jahrzehnte, die Agenda 2010, ist untrennbar mit dem Namen Wolfgang Clement verbunden. Während die europäischen Nachbarländer das Reformwerk als Vorbild für die Lösung eigener Probleme entdeckt haben, beansprucht die SPD nicht etwa eine Miturheberschaft an den unstreitbaren Erfolgen, sondern sieht die Agenda in Teilen oder in Gänze im Widerspruch zum Gebot „sozialer Gerechtigkeit“. Für Wolfgang Clement hat die SPD nach eigenen Worten deshalb den Anspruch preisgegeben, eine Kraft der Modernisierung sein zu wollen. Eine Entwicklung, die Wolfgang Clement sehr frühzeitig erkannt hatte und die ihn auf kritische Distanz zur SPD-Programmatik gehen ließ. Nach zum Teil heftig geführten Auseinandersetzungen mit der Parteispitze trat der Ex-Superminister am 25. November 2008 aus der SPD aus und nannte als Gründe die mangelnde Abgrenzung der SPD von der Linkspartei sowie die Industrie- und Energiepolitik der SPD, die auf eine Deindustrialisierung Deutschlands hinauslaufe. Seit seinem Austritt aus der Partei unterstützt Clement punktuell die FDP, die er noch zu Zeiten Guido Westerwelles als die Fortschrittspartei Deutschlands bezeichnete und die er auch vor der Bundestagswahl 2017 im Wahlkampf unterstützte. Grüne Lebenslüge Bis zum heutigen Tag engagiert sich Wolfgang Clement in der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, deren Kuratorium er vorsteht. Die INSM will die ordnungspolitischen Prinzipien Ludwig Erhards bekräftigen und auch in Zeiten der Globalisierung voll und grenzüberschreitend zur Geltung bringen. In dieser marktliberalen Denkfabrik macht sich Clement besonders für eine „Wende“ von der Energiewende sowie für eine Bildungsoffensive stark, die – wie er sagt – die Herstellung von Chancengleichheit in Deutschland zum Ziel haben müsse. In einem Gespräch mit den BDS-Kuratoriumsmitgliedern und ehemaligen Staatssekretären Friedhelm Ost und Jürgen Aretz sowie dem NRW-Hauptgeschäftsführer Joachim Schäfer machte Wolfgang Clement seine Intentionen noch einmal deutlich. Während die BDS-Vertreter es als Lebenslüge bezeichneten, wenn die grüne Energielücke durch Energieimporte geschlossen würde, also mit Atomstrom aus Tschechien, Polen und Frankreich, gebrauchte Wolfgang Clement eine noch drastischere Formulierung: „Die Energiewende ist ein Albtraum und für die mittelständische Wirtschaft sowie für die energieintensive Industrie eine Katastrophe.“ Für Wolfgang Clement gehört zu den Widersprüchen der Energiewende, dass Deutschland zu „Minuspreisen“ Strom nach Österreich liefere, mit dessen Hilfe die Alpenrepublik ihre Speicherkraftwerke auffülle, um ihn anschließend zu Plus-Preisen nach Deutschland zurückzuverkaufen. Inzwischen koste eine Kilowattstunde in Deutschland durchschnittlich 30 Cent, wogegen die Kilowattstunde im europäischen Mittel bei nur rund 20 Cent liege. Das wiederum bedeute nicht nur eine Gefährdung der Wettbewerbsfähigkeit, sondern begründe bereits die konkrete Gefahr eines in Gang kommenden Deindustrialisierungsprozesses. Eine Lösung kann nach Clements Worten nur in einer Europäischen Energieunion liegen, die den Energiemarkt auf dem Kontinent über den Emissionshandel steuere. Ein Beispiel: Der deutsche Verbraucher werde für die Drosselung des CO² Ausstoßes um eine Tonne durch Solarenergie mit 400 Euro und durch Windenergie mit über 100 Euro ­belastet, wobei eine Tonne CO²-Vermeidung über den Emissionshandel nur sieben Euro koste. Vergleichbare Leistungsstandards Ähnlich drastische Worte wie für die gegenwärtige Energiepolitik findet Wolfgang Clement für die Bildungspolitik, die nicht geeignet sei, die Zukunftsfähigkeit unseres Landes und Chancengerechtigkeit für alle Schichtungen unserer Gesellschaft zu ­gewährleisten. Gewärtig blieben jährlich etwa 50.000 junge Menschen ohne Schulabschluss, hob Clement hervor und beklagte das Leistungsgefälle zwischen Abiturientenklassen in Bremen oder Berlin ­gegen­­über jenen in Bayern oder Sachsen, das etwa ein Schuljahr betrage. Sein Fazit: Das deutsche Bildungswesen sei offensichtlich unzureichend ausgestattet und fehlgesteuert. Es werde seiner Aufgabenstellung nicht gerecht. Deshalb fordere er verbindliche und vergleichbare Leistungsstandards, die den auch im internationalen Wettbewerb notwendigen Qualitätskriterien gerecht werden, und vor allem ein ­wesentlich stärkeres finanzielles Engagement von Bund und Ländern, fand Clement deutliche Worte. Weitere Gesprächspunkte zwischen den BDS-Vertretern und dem früheren NRW-Ministerpräsidenten und Bundesminister waren das Scheitern der Jamaika-Sondierungsgespräche und die zu erwartende ­Politik nach einer Neuauflage der Großen Koalition (siehe Interview).

Bürgerversicherung fördert Zweiklassenproblematik

Ex-Superminister Wolfgang Clement auf Gegenkurs zur SPD-Forderung

?Hat Christian Lindner richtig gehandelt, als er die sogenannten Jamaika-Sondierungsgespräche hat platzen lassen?

Wolfgang Clement: Ja, aus meiner Sicht hat er richtig gehandelt. Es lief in dieser Runde unter Führung der Kanzlerin offensichtlich auf eine schwarz-grüne Koalition unter Duldung der FDP hinaus. Das war für Lindner nicht akzeptabel.

? Nun wurde uns über de Qualitätsmedien suggeriert, dass eine Jamaika-Koalition dem Wählerwunsch entsprochen habe. Sehen Sie das auch so?

Wolfgang Clement: Viele hatten, wie auch ich, auf neue Köpfe und neue Ideen und eine echte Alternative zur großen Koalition gehofft. Das ist jetzt ausgeträumt. Jamaika war ein interessanter Versuch, mehr aber auch nicht. Jetzt werden wir sehen, ob CDU/ CSU und SPD in einer weiteren großen Koalition in der Lage sein werden, ihre Kräfte zu erneuern, oder ob der Sinkflug beider Parteien weiter geht.

? Wird der Sinkflug von SPD und CDU weitergehen – Ihre Prog­nose?

Wolfgang Clement: Ich stehe einer großen Koalition aufgrund der Erfahrungen in der vergangenen Legis­laturperiode und auch der jetzigen Sondierungs­ergebnisse sehr skeptisch gegenüber. Alle drei Parteien investieren jedenfalls mehr finanzielle und ideelle Kraft ins Rentengeschehen als in die Zukunft unseres Landes.

? In einem Gespräch mit dem Deutschlandfunk haben Sie eine Minderheitsregierung für eine Übergangszeit als „mal gar nicht schlecht“ bezeichnet.

Wolfgang Clement: Es war und ist wohl ein bisschen idealistisch oder auch naiv gedacht. Aber ein im Falle einer Minderheitsregierung mögliches offenes Spiel der Kräfte, in dem sich auch neue Gesichter hervortun könnten, täte dem deutschen Parlamentarismus eigentlich sehr gut.

? Trotz gut gefüllter Staatskasse wollen SPD und Union den Steuerzahler kaum entlasten. Mit dem Spitzensteuersatz werden inzwischen auch schon Facharbeiter belegt.

Wolfgang Clement: Die Belastung durch Steuern und Abgaben beläuft sich hierzulande für einen Durchschnittsverdiener bereits auf fast 50 Prozent. Jede Bundesregierung ist deshalb gut beraten, vor allem dafür zu sorgen, dass die Sozialversicherungsbeiträge nicht weiter ansteigen. Wir gehören inzwischen sicher zu den fünf Nationen auf der Welt mit der besten, aber auch teuersten sozialen Sicherung. Zudem halte ich eine steuerliche Entlastung für die mittleren Einkommen für zwingend. Eine Anhebung der Einkommenshöhe zum Spitzensteuersatz auf 60.000 Euro halte ich aus dem von Ihnen angesprochenen Grund ebenfalls für einen richtigen und wichtigen Schritt.

? Eine Forderung der SPD ist die Einführung einer Bürgerversicherung. Hätte ein Superminister Clement im Amt diese Forderung mitgetragen.

Wolfgang Clement: Wer eine Bürgerversicherung befürwortet, sollte sich vielleicht einmal im staatlichen britischen Gesundheitssystem umschauen. Er käme vermutlich alsbald, politisch geheilt, zurück. Unser Gesundheitssystem ist teuer, aber es ist auch eines der besten der Welt. Und daran haben auch die privaten Krankenversicherungen ihren gehörigen Anteil. Nirgendwo kommt im übrigen die Zweiklassenproblematik so zum Tragen wie in staatlichen Gesundheitssystemen, die fälschlich auch „Bürgerversicherungen“ genannt werden.

Mit Wolfgang Clement sprach ­Joachim Schäfer